Legal Tech im Wandel: DeepSeek, ChatGPT und die Zukunft der Kanzleiarbeit
4 gut investierte Leseminuten
Legal Tech im Wandel: DeepSeek, ChatGPT und die Zukunft der Kanzleiarbeit
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Seit einigen Jahren erleben wir eine wachsende Zahl von Legal Tech-Innovationen, die darauf abzielen, die Arbeit in Anwaltskanzleien effizienter, transparenter und kostengünstiger zu gestalten. Dazu gehört auch der Einsatz sogenannter Large Language Models wie ChatGPT und DeepSeek. Der Rechtsmarkt hat in den letzten Jahren eine grundlegende Veränderung erfahren. Der technologische Fortschritt, insbesondere im Bereich Legal Tech, ermöglicht es Kanzleien, Routineaufgaben zu automatisieren und die Effizienz der anwaltlichen Beratung zu steigern. Besonders bei der Kanzleiorganisation, der Recherche und der Dokumentenbearbeitung und -erstellung haben digitale Tools Einzug gehalten. So verfügt selbst die traditionsreiche juristische Datenbank beck-online inzwischen über ein KI-Tool, den „beck chat“, der die Anwenderinnen und Anwender bei der Recherche unterstützt. Ein weiteres Beispiel ist das Tool „Frag den Grüneberg“, das mit dem gleichnamigen BGB-Standardkommentar interagiert.
Während ChatGPT, entwickelt vom US-amerikanischen Unternehmen OpenAI, bereits seit 2022 verfügbar ist, gibt es mit der chinesischen Anwendung DeepSeek seit Anfang 2025 erstmals einen ernstzunehmenden Konkurrenten. Beide Modelle bieten weitreichende Möglichkeiten, die Kanzleiarbeit zu optimieren, werfen jedoch insbesondere im Hinblick auf den Datenschutz und die rechtliche Qualität der Ergebnisse auch Fragen auf.
Welche Vor- und Nachteile bieten DeepSeek und ChatGPT für Anwältinnen und Anwälte und inwiefern sind sie geeignet, die anwaltliche Tätigkeit zu revolutionieren?
Viele Anwenderinnen und Anwender fragen sich inzwischen, ob ein Wechsel von ChatGPT zu DeepSeek lohnt. Im Apple Store steht DeepSeek inzwischen auf Platz eins und hat damit ChatGPT vom Thron gestossen. Beide Tools haben bestimmte Vor- und Nachteile.
DeepSeek verspricht, mit einem Bruchteil der Rechenleistung bessere Ergebnisse zu liefern als die Konkurrenz. Nach eigenen Angaben verbraucht DeepSeek 95 Prozent weniger Rechenleistung und damit auch deutlich weniger Energie als seine Konkurrenten. Ausserdem fällt auf, dass DeepSeek (Modell R1) kürzere Ladezeiten hat, als ChatGPT 4.5 und teilweise auch aktuellere und präzisere Antworten gibt.
Zu den technischen Highlights von DeepSeek R1 gehört mit Sicherheit die sog. Chain-of-Thought-Technologie. Bei dieser „Gedankenkette“ wird das Modell angewiesen, seine Überlegungen Schritt für Schritt zu erklären. So werden die Ergebnisse transparenter und verständlicher. Fehler können durch die Nutzerinnen und Nutzer leichter identifiziert und korrigiert werden.
Ein grosser Nachteil von DeepSeek: Bei politischen Themen ist besondere Vorsicht geboten. Bei der Nutzung über die offizielle Website oder App werden die Ergebnisse eindeutig zensiert, wenn sie für den chinesischen Staats nachteilig sein könnten. So werden beispielsweise Fragen nach dem „Tank Man“, der sich 1989 vor eine Kolonne chinesischer Panzer auf dem Tian’anmen-Platz in Peking stellte, ausgeblendet. Umgehen lässt sich die Zensur, indem man DeepSeek lokal auf dem eigenen Rechner statt auf chinesischen Servern betreibt.
Für Anwältinnen und Anwälte ist aber natürlich vor allem interessant, ob DeepSeek bei juristischen Fragestellungen helfen kann. Hierbei ergibt sich, dass DeepSeek – genauso wie ChatGPT – die einschlägigen Gesetze und Paragrafen kennt und richtig zuordnen kann. DeepSeek kann also bereits jetzt dazu eingesetzt werden, fachsprachlich präzise Textbausteine und Zusammenfassungen zu generieren. Über diese Fähigkeit verfügt auch ChatGPT, wobei die Ergebnisse von DeepSeek teils ausgereifter wirken.
Probleme ergeben sich bei beiden Tools allerdings dadurch, dass ein Grossteil des juristischen Wissens in Büchern und hinter passwortgeschützten Datenbanken verborgen ist. Das Trainingsmaterial für die KIs ist gegenüber anderen Disziplinen und anderen Ländern wie den USA, wo viele wissenschaftliche Texte bereits open access verfügbar sind, somit eingeschränkt.
Dass Large Language Models bei juristischen Feinheiten noch immer ins Straucheln geraten, zeigt sich, wenn man ChatGPT und DeepSeek bittet, als Anwalt zu agieren und dem Mandanten den Unterschied zwischen Mord und Totschlag zu erklären.
Fragt man ChatGPT findet der Dienst zwar die einschlägigen Normen, macht aber folgenden schweren Fehler: „Der entscheidende Unterschied zwischen Mord und Totschlag ist die Mordlust, also der Vorsatz, jemanden zu töten, der in besonders verwerflicher Weise begangen wird.“ Das ist grob falsch. Ausserdem behauptete ChatGPT fälschlicherweise, dass es sich bei Totschlag häufig um eine Affekttat handelt. Die Mordmerkmale zählt die KI zwar grösstenteils richtig auf, erfindet dann aber folgendes (angebliches) Mordmerkmal und verwechselt dabei auch noch Eigentum und Besitz: „Zueignung des Eigentums – wenn der Täter das Opfer tötet, um sich dessen Besitz anzueignen.“ Die Zusammenfassung ist dann seltsamerweise aber wieder richtig: „Mord ist eine vorsätzliche Tötung mit besonders verwerflichen Merkmalen, wie Mordlust, Grausamkeit oder Habgier. Totschlag ist eine vorsätzliche Tötung, aber ohne die schweren Merkmale, die Mord kennzeichnen.“
DeepSeek schafft es zwar ebenfalls nicht, alle Mordmerkmale aufzuzählen und diese richtig zu definieren, die grundsätzliche Unterscheidung zwischen Mord und Totschlag schafft die KI aber im Gegensatz zu ChatGPT fehlerfrei und insbesondere ohne Widersprüche in der eigenen Antwort: „Totschlag ist die vorsätzliche Tötung ohne zusätzliche erschwerende Umstände. Mord ist die vorsätzliche Tötung mit besonderen, gesetzlich definierten Mordmerkmalen, die die Tat als besonders verwerflich kennzeichnen.“ Hier zeigt sich DeepSeek also deutlich überlegen; beide Modelle haben im juristischen Bereich aber deutliches Verbesserungspotential.
Beim Einsatz von Large Language Models wie ChatGPT und DeepSeek stellen sich zudem erhebliche datenschutzrechtliche Fragen. Da beide Technologien auf grossen Mengen an Daten zugreifen und diese analysieren, müssen Kanzleien sicherstellen, dass der Datenschutz jederzeit gewährleistet wird. Besonders bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, wie sie in vielen rechtlichen Dokumenten vorkommen, sind die strengen Vorgaben der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zu beachten. Hinzu kommt das Anwaltsgeheimnis.
Das führt zwingend dazu, dass bei der anwaltlichen Nutzung überhaupt keine sensiblen Daten und insbesondere auch keine personenbezogenen Daten in die Webanwendung oder Apps der Dienste eingegeben werden dürfen. Denn wo diese landen und was die Unternehmen damit machen, ist für Nutzerinnen und Nutzer undurchsichtig. Alle Dokumente und Textschnipsel, mit denen man ChatGPT oder DeepSeek „füttert“ müssen demnach zuvor komplett anonymisiert werden. Das gilt für E-Mails genauso wie für Schriftsätze und Mandantenschreiben.
Einige Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass die Nutzung von DeepSeek mit dem Datenschutz in europäischen Kanzleien und Unternehmen überhaupt nicht vereinbar ist. Einerseits, weil sich der Dienst vorbehält, die Prompts als Datenbasis für KI-Trainingszwecke nutzen zu dürfen, andererseits, weil DeepSeek aus dem datenschutzrechtlich unsicheren Drittstaat China stammt. Mit den USA habe man hingegen zumindest für die API-Nutzung Auftragsverarbeitungsverträge und die Zusicherung, die Daten nicht für eigene Trainingszwecke zu nutzen. Doch auch hier werden die Daten letztendlich auf nicht-EU Servern gespeichert.
Andere loben hingegen den Open-Source-Ansatz von DeepSeek. Der Quellcode des KI-Modells ist frei verfügbar und ermöglicht es, das System auch lokal zu nutzen, zu modifizieren und weiterzuentwickeln. Wer DeepSeek lokal auf dem eigenen Computer ausführe, verhindere, dass die Daten mit China geteilt würden. Expertinnen und Experten sehen hier die wahre Stärke von DeepSeek. Lokale Anbieter auf dem Rechtsmarkt könnten DeepSeek in ihre Dialogsysteme einbauen, diese in einer deutschen/österreichischen/schweizerischen Cloud hosten und so Rechtskonformität und Compliance in Bezug auf Datenschutz und das Anwaltsgeheimnis gewährleisten.
Immer wieder kommt es vor, dass Anwältinnen und Anwälte die von KI-Tools ausgeworfenen Ergebnisse nicht überprüfen. So verwendete im Oktober 2024 ein australischer Anwalt ChatGPT zur Erstellung eines Schriftsatzes. Das Ergebnis: Er blamierte sich vor Gericht, weil die im Schriftsatz zitierten Urteile überhaupt nicht existierten. Ganz ähnlich erging es schon 2023 einem Anwalt aus den USA. Auch er fiel auf frei erfundene Gerichtsentscheidungen herein, die ihm ChatGPT präsentiert hatte. Die Konsequenz: Eine Geldstrafe von 5.000 US-Dollar.
Das Problem: Sowohl ChatGPT als auch DeepSeek sind anfällig für sogenannte Halluzinationen. Damit ist gemeint, dass das Modell eine Antwort gibt, die sich zwar gut anhört, aber falsch ist. ChatGPT und DeepSeek erfinden im anwaltlichen Kontext insbesondere immer wieder Gerichtsentscheidungen (inklusive Aktenzeichen), die es überhaupt nicht gibt. Deswegen ist es beim Einsatz in der Kanzlei notwendig, alle Entscheidungen, die ChatGPT und DeepSeek auswerfen, nochmals mit Hilfe von juristischen Datenbanken auf ihre Existenz und Richtigkeit zu kontrollieren. Bei Halluzinationen handelt es sich um ein Problem, an dem zurzeit leider noch alle Modelle kranken. Trotzdem erleichtern die Chatbots allein aufgrund ihrer Schnelligkeit die aufwändige Suche in Rechtsprechungsdatenbanken enorm. Eine gefundene Entscheidung zu verifizieren ist dann immer noch weniger zeitaufwändig als das Urteil überhaupt erst einmal zu finden.
Die Zukunft der Kanzleiarbeit wird zweifellos von KI-gestützten Tools wie DeepSeek und ChatGPT geprägt sein. Beide haben das Potenzial, den Arbeitsalltag in Kanzleien erheblich zu verändern und zu vereinfachen. Allerdings gibt es auch Grenzen. Die Qualität der Ergebnisse sind im juristischen Bereich noch durchwachsen – zumindest dann, wenn man ChatGPT und DeepSeek um die Beantwortung juristischer Fachfragen oder die Einschätzung der Rechtslage bittet. Gleichzeitig sind Large Language Models bereits jetzt ein unverzichtbarer Begleiter, wenn es um Kanzleiorganisation und Textverarbeitung sowie -erstellung geht. Die Entscheidung zwischen ChatGPT und DeepSeek sollte dabei von den oben genannten Punkten und den spezifischen Einsatzzwecken abhängen.
Unumgänglich ist, dass Kanzleien bei der Verwendung von KI-Tools die datenschutzrechtlichen Rahmenbedingungen im Blick behalten. Für Anwältinnen und Anwälte dürfte die beste Lösung damit noch immer in der Nutzung lokaler Hosting-Dienste (z. B. Libra, Bryter oder PrimeLegal) als sogenannte „Legal Wrapper“ liegen.
Daniel N. Solenthaler – dank seiner mehr als 30-jährigen Erfahrung in der Softwarebranche, mit Schwerpunkt auf Kanzleisoftware, sowie einem Abschluss in Betriebswirtschaft der Universität St.Gallen ist Daniel N. Solenthaler ein ausgewiesener Experte für die Digitalisierung von Anwaltskanzleien. Durch die Betreuung von Hunderten von Kanzleien verfügt er über ein umfassendes Verständnis für die Bedürfnisse der Branche und erkennt schnell Verbesserungspotenziale. Mit gezielten Prozessoptimierungen hilft er Kanzleien, effizienter, rentabler und dynamischer zu werden.